Klänge zwischen Zeit und Ewigkeit

 

 Glockenstraße ins Land der Bibel

Indien ist eine bedeutende Zwischenstation, der alle Länder, Religionen und Kulturen dieser Welt durch ziehenden Glockenstraße.

In Indien verkörpert die Hindu-Göttin Durga die unendliche, allmächtige schöpferische Kraft. Die harmonischen Klänge ihrer Glocke - sie trägt sie in der linken Hand - bieten Schutz und führen sie auf den Pfad der Erleuchtung und Vollendung. Mit dem Flammenschwert tötet sie den Büffeldämon, Sinnbild des Bösen, der Unwissenheit und Gleichgültigkeit. Ein Erzählung fasst alles Wesentliche über das Wesen von Durga zusammen:

Möge die Glocke der Göttin erschallen, deren Klang die Kraft des Bösen zerschlägt und alle Welt durchdringt.

Die Liebe vieler asiatischer Völker in späteren Jahrhunderten galt vor allem den großen, übermächtigen und schweren Glocken. Eine geradezu theologisch-philosophische Erzählung aus den Anfängen dieser mächtigen Glocken in tibetischen Klöstern, fasst beispielhaft die vielfältige, universelle Bedeutung der Glocke weit über den asiatischen Raum hinaus zusammen:

Der Drache -wir würden ihn Teufel nennen- hatte den Tempel bereits sechs Mal zerstört. Die Mönche berieten nun, wie eine weitere Zerstörung abzuwenden sei. Einer schlug vor: „Binden wir den Tempel an der Erde fest.“ Ein zweiter Mönch wollte in jeden der vier Eingänge des Tempels eine schwere Glocke hängen, um ihm Gewicht zu geben.

Durga tötet mit dem Flammenschwert den Büffeldämon. Die harmonischen Klänge ihrer Glocke bieten Schutz und führen sie auf den Pfad der Erleuchtung. Steinrelief, Mansur, Hoysala-Zeit, frühes 13. Jh. n. Chr., Victor & Albert Museum, London


Da bat der älteste und wohl auch weiseste der Mönche um das Wort: „Jetzt haben wir den Tempel an der Erde festgebunden“, begann er, „und schwere Glocken zum Anschlagen mit großen Stämmen an den Eingängen angebracht. Aber wir sind hier drinnen im Kloster und die Menschen draußen in der Welt. Wie finden wir zueinander?

Ich schlage vor, wir sagen den Menschen, dass jeder, der Sorgen und Nöte hat oder gemeinsam mit uns beten will, zur Glocke kommen und sie kräftig anschlagen kann. Wer auch immer von uns ihren Klang vernimmt, eilt schnell zur Glocke, hört sich die Sorgen und Nöte der Menschen an und betet gemeinsam mit ihnen. Die Klänge der Glocke werden gemeinsam mit den Gebeten auch die Sorgen und Nöte gen Himmel tragen."

So beschloss es der Mönchskonvent und alle warteten mit Gebeten und ängstlicher Zuversicht auf den Drachen.

In Asien wurde die Glocke zum Symbol der Harmonie und wo die Harmonie ihren Klang-Teppich ausbreitete, konnte das Böse nicht eindringen. Dieser Gedanke begleitete die Völker  -entlang der Seitenstraße, man könnte sie auch Glockenstraße nennen- Mesopotamiens, die Völker an Euphrat und Tigris, Assyriens, im Hochland Armeniens, Urartu und vor allem das Reitervolk der Skythen. Sie zogen mit ihren Glocken behangenen Pferden seit dem 7. Jh. v. Chr. aus den Steppen Nord-Irans bis an die Grenzen Griechenlands. Die Legende erzählt, ihr Anführer Gaedel Glas habe die babylonische Sprachverwirrung aus 72 Sprachen in eine, der gälischen, zusammen geführt. Es sollte eine Sprache sein, die Menschen aller Länder und Kulturen verstehen, wie die Sprache der Glocken.

Gebet und Glockenklang, ein Mönch schlägt mit einem schweren Balken die mächtige Glocke im Songgwangsa-Kloster in Südkorea an


Der Drache kam schon bald. Den von den Mönchen an der Erde festgebundenen Tempel mit seinen vier schweren Glocken konnte er nicht mehr zerstören.   

Brahmanen Umzug in Angkor Wat im frühen 12. Jh. n. Chr. Glocken läuten den Sieg ihres Königs ein


In den Weiten der Wüste hatte die weit tragende Stimme der Glocke eine zum Überleben notwendige Aufgabe zu erfüllen, wie uns zahlreiche Abenteuer-Schriftsteller, so auch Marco Polo und vor allem Sven Hedin berichten.


Es war ein schöner, kühler Abend; aus der Ferne ertönt gedämpfter Glockenklang von der großen Kamelkarawane herüber.

Aus den unendlich weiten Wüsten und Steppen Asiens, über die Landschaften an Euphrat und Tigris  und das Hochland von Armenien,  führt uns die Glockenstraße weiter in die Länder der Bibel und Israel, dort nach Jerusalem zum Laubhüttenfest der Juden. Denn für diese Reise, so lesen wir im Buch Sacharja,

wird auf den Glöckchen der Pferde stehen „Heilig dem HERRN“.

Auch die Krone und das Schild der Thora waren mit Glöckchen geschmückt. Das 2. Buch Mose und später geradezu lyrisch das Buch Sirach, beschreiben die klingenden Glöckchen am Rocksaum des Hohepriesterlichen Gewandtes von Aaron aus dem Stamme Levi.

Der Herr kleidete ihn in Pracht und schmückte ihn mit herrlichen Gewändern: Deren Saum verzierte er mit Glöckchen und mit Granatäpfeln ringsum. Sie sollten bei seinen Schritten lieblichen Klang geben, damit er im Heiligtum zu hören war und sein Volk aufmerksam wurde.

Noch ein letztes Lebewohl, dann ziehen wir beim bedeutungsvollen Klang der Glocken, die gleich dem Ticken des Sekundenpendels das Verrinnen der Zeit angeben ...  

Es liegt etwas Feierliches über dem Marsch einer solchen Karawane dem Tod entgegen … Die Glocken läuten ihre melancholische Melodie, die unwillkürlich an eine Beerdigung erinnern. Die Glocken liefern die Musik zum unendlichen Totentanz. Alles ist eitel, alles verweht im Winde. 

Nur die Glocken …

                  … die Glocken verklingen nie.

Deren Saum verzierte er mit Glöckchen und mit Granatäpfeln ringsum, damit er im Heiligtum zu hören war, Detail aus: Darbietung des Christusknaben im Tempel, Hans Holbein d. Ä., 1500-1501, Kunsthalle Hamburg

Diese Glöckchen mussten im Heiligtum zu hören sein und gleichzeitig auch vor dem Heiligtum, von seinem Volk. 

Der rastlose Abenteurer Abu Zayd und der Kaufmann Al Harith auf dem Weg nach Mekka, Arabisches Manuskript, maqama 32., 2. Viertel des 13. Jhs.

 

Bei dieser Beschreibung staunen wir über die Bedeutungsvielfalt der Glocke, die selbst die unendlichen Weiten der Wüste zum Schwingen und Klingen bringt.

Zwölf Glöckchen sollen es gewesen sein. Im Judentum steht die 12 für die Verbindung zwischen Himmel und Erde.

Die Zahl der Himmelsrichtungen der Welt, die 4 + 3, der Zahl des Göttlichen, ergibt die 7, wie auch die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Die 4 vervielfacht mit der 3 ergibt die zwölf. Sie symbolisiert das, was wir uns nicht an den 10 Fingern unserer Hände abzählen können, das im wahrsten Sinne des Wortes Unbegreifliche, die zeitlose Botschaft vom Leben, Sterben und von der Auferstehung Jesu.

Diese neue Botschaft nahm das Christentum auf und übertrug der "neuen" Glocke zahlreiche Aufgaben und eine Bedeutungsvielfalt, die prägend für die Frömmigkeitsgeschichte des Christlichen Abendlandes werden sollte.